11.04.2025
Nord Stream: Wie die Gas-Pipelines wiederbelebt werden könnten
Die Spekulationen über eine mögliche Wiederinbetriebnahme der Nord-Stream-Pipelines gewinnen an Fahrt – vorausgesetzt, Russland und die Ukraine einigen sich auf einen Friedensdeal.

Quelle: enerNEWS-Partner Euractiv

Aber ist Europa tatsächlich bereit, zurück zu russischen Gasimporten in großem Stil zu gehen?

Anfang des Jahres erreichte die russische Gasversorgung in Europa ihren bisherigen Tiefpunkt. Polen hatte Sanktionen gegen die Jamal-Pipeline verhängt, die Ukraine das Transitabkommen mit dem russischen Gasgiganten Gazprom auslaufen lassen. Russland kämpfte noch immer mit den Folgen der Sabotageakte von 2022, die alle Nord-Stream-Leitungen bis auf eine zerstört hatten. Nord Stream 1 und Nord Stream 2 haben je zwei Leitungen.

Von Russlands einstigem Energieimperium blieb wenig: Lediglich TurkStream über Bulgarien ist formal in Betrieb – faktisch jedoch ebenfalls vom Kreml abgeschnitten.

Im Jahr 2020 lieferte Gazprom noch rund 157 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa – umgerechnet etwa 1.600 LNG-Tankerladungen. Im Jahr 2024 sank die Menge auf 54 Milliarden Kubikmeter, davon 17 Milliarden Kubikmeter durch die Ukraine. Die Route ist inzwischen geschlossen.

Ein erstes Signal für eine mögliche Kehrtwende setzte ein Schweizer Gericht, das im Januar das Insolvenzverfahren gegen den Pipelinebetreiber Nord Stream 2 AG bis Mai aussetzte. Begründung: Die neue US-Regierung unter Donald Trump und ein möglicher Regierungswechsel in Berlin könnten den wirtschaftlichen Wert des Unternehmens „wesentlich beeinflussen“.

Drei Monate später erklärte der Kreml, es wäre „interessant“, wenn die USA Europa zum Kauf russischen Gases drängen würden. Ein US-Finanzinvestor prüft bereits, wie sich mit der stillgelegten Infrastruktur in der Ostsee Rendite erzielen lässt.

In Deutschland zeigen sich erste Stimmen offen für die Idee. Im Falle eines Friedens könne „auch wieder Gas fließen, vielleicht diesmal dann in einer Pipeline unter US amerikanischer Kontrolle“, schrieb der frühere CDU-Wirtschaftsstaatsekretär Thomas Bareiß auf Social Media. Andere Politiker äußerten sich ähnlich. Die Mehrheit jedoch schweigt.

Der deutsche Industrieverband BDI sowie die Sozialdemokraten lehnten eine Stellungnahme ab. Aus der CDU hieß es, eine Wiederaufnahme russischer Pipeline-Gaslieferungen stehe derzeit nicht zur Diskussion.

Doch Beobachter warnen, dass sich die Situation rasch ändern könnte. Energieexpertin Susanne Nies vom Berliner Helmholtz-Zentrum verweist auf zwei mögliche Szenarien, wie russische Gasflüsse kurzfristig auf zwei Wegen nach Europa zunehmen könnten:

Zum einen, ein „Gas-Swap-Deal“ zwischen den USA und Gazprom an der russischen Grenze – mit anschließendem Weiterverkauf des Gases als „amerikanisch“ über ukrainische Leitungen nach Europa. Zum anderen, direkte Gaslieferungen „durch die Ostsee, via Nord Stream 1 und 2“.

„Dann könnten die Amerikaner könnten von uns verlangen, dass wir wieder russisches Gas beziehen“, so Nies. Die neue Bundesregierung könne durchaus sagen, „wir wollten ja nicht, aber wir mussten für den Frieden.“

Energieanalyst Jilles van den Beukel vom niederländischen Thinktank HCSS sieht eine wirtschaftliche Logik: „Während niemand weiß, um wie viel, ist es sicher, dass eine signifikant höhere Menge russischen Gases europäische Gaspreise senken würde.“

Die Wiederaufnahme der Lieferungen von Gazprom sei daher eher eine Frage „wirtschaftlicher Erwägungen“ als eine Frage der Energiesicherheit, fügte er hinzu.

Berlin und Brüssel kommen zentrale Rollen zu 

Neben der Möglichkeit, Druck auf Kyjiw zur Wiederaufnahme von Transitflüssen auszuüben, sei laut van den Beukel „die unbeschädigte Röhre von Nord Stream 2 entscheidend“, um kurzfristig wieder Gas nach Deutschland zu liefern.

Berlin müsste zustimmen – auch, weil die Pipeline zertifiziert werden muss, um rechtlich zugelassen zu werden. Aber auch Brüssel könnte ein Veto einlegen – auf Grundlage der neuen Gasmarktregeln der EU.

Das sogenannte „Empowerment-Verfahren“ von 2024 gibt der EU-Kommission die Befugnis, Gaspipeline-Projekte mit Drittstaaten zu blockieren, wie Jack Sharples vom Oxford Institute for Energy Studies schreibt.

Die Wiederinbetriebnahme von Nord Stream wird voraussichtlich privaten Unternehmen überlassen. Die deutsche Regulierungsbehörde müsste lediglich die Sichtweise Brüssels „in höchstem Maße berücksichtigen“.

„Die EU-Kommission ist dann der letzte Akteur, der ein Veto einlegen könnte, da kommt Brüssel große Verantwortung zu“, sagte Susanne Nies. Die derzeit verschobene EU-Roadmap für den Ausstieg aus russischem Öl und Gas sei daher ein entscheidender Lackmustest.

„Deutschland würde sich nicht trauen, im Alleingang Nord Stream 2 zu reaktivieren,“ sagte sie weiter. „Europa hat eigentlich Alternativen wie Gas aus Norwegen, aber im Worst Case hängen wir gleichzeitig von Putin und Trump ab.“

Dornröschen erwacht

Am Tag nach Beginn der russischen Invasion der Ukraine sagte der russische Botschafter in Brüssel, die Pipelines in der Ostsee seien nur ein „schlafendes Dornröschen“ – vorübergehend stillgelegt. Im Laufe des Jahres folgten mehrere Explosionen, die den Großteil der Leitungen zerstörten.

Ein Hindernis, aber kein Ausschlusskriterium. „Technisch ist die Wiederherstellung von Nord Stream 1 machbar“, sagte Jilles van den Beukel.

Die Herausforderung sei, dass „nur wenige Unternehmen und Schiffe dazu in der Lage sind“, da der „große Durchmesser und die Betonummantelung der Pipeline viel Hebekraft erfordern“.

Nies schätzt die Reparaturkosten auf „600 Millionen bis 1 Milliarde Euro“. Fraglich sei nur, wer das bezahle.

Laut van den Beukel dürfte Gazprom den Großteil der Kosten tragen müssen.

Mangel an Vertragspartnern

Die andere Frage lautet: Wer würde einen Liefervertrag mit einer russischen Gegenpartei abschließen?

In den vergangenen Jahren erhielten europäische Unternehmen zweifelhafte Begründungen für ausbleibende Zahlungen, wurden zur Begleichung in Rubel gedrängt und mussten sich langwierigen Rechtsstreitigkeiten vor informellen Schiedsgerichten stellen – wobei EU-Unternehmen in über einem Dutzend Fällen Recht bekamen.

„Anstatt irgendwelche Schiedssprüche zu zahlen“, habe der russische Energiekonzern Gegenschriften eingereicht, schreibt Jack Sharples. Es sei wahrscheinlich, dass „weiterhin ausstehende Schiedssprüche bestehen bleiben, die Gazprom nicht bezahlt hat“.

In einer Branche, in der Vertrauen rar ist und internationale Einigungen entscheidend für grenzüberschreitende Verträge sind, sei das Umgehen von Schiedsverfahren „pures Gift“, betont er.

„Es ist unwahrscheinlich, dass europäische Gaskäufer derzeit langfristige Verträge mit Gazprom abschließen“, ergänzt Sharples – angesichts des „Vertrauensverlusts“ und der Sorge, „dass Streitigkeiten nicht durch kommerzielle Schiedsverfahren gelöst werden könnten“.

< zurück